Predigt für Sonntag Estomihi, Johanisbad und Trautenau, 18. Februar 2007

Spr. 1, 20-27

Liebe Brüder und Schwestern,
ein bisschen Moralität am Anfang, vielleicht können Sie mir beipflichten: junge Menschen – wenigsten bei uns – haben es heute schwerer, als wir es in unserer Jugend hatten. Das Angebot aller möglichen Sachen und Aktivitäten ist zwar riesig, weit größer, als sie je in Zeiten unserer Jugend waren, und die Freiheit so umfassend, dass es reicht nur zu nehmen und zu leben. Nur, wer soll sich darin auskennen? Was wählen? Wie sinnvoll die Zeit verleben? Was ist wichtig und was ist abzulehnen? Und was, wenn dem Guten zu viel ist? Und wofür sich eigentlich einsetzen, wenn ich alles umsonst habe und in Reichweite? Und doch ist alles so ermüdend und uninteressant.

Um wie viel einfacher hatten es wir. Die Möglichkeiten waren bescheiden und der Mensch wusste eigentlich, was er wollte, wofür er sich einsetzte – genau für das, was ihm verwehrt war. Zu viel Freiheit gab es nicht und so bemühte man sich um Freiheit hat und zur Freiheit führte der Weg durch viel Streben, durch Wissen, welches die, die Freiheit vorenthielten, nicht hatten. Darin war es einfacher. Das Gefühl des Verderbens, weil das Verderben war etwas, was von draussen kam, hatten wir nicht. Das Gefühl des Verfalls kannten wir nicht, denn Verfall war etwas, was von draußen kam. Ein Gefühl von Leere gab es nicht. In einem begrenzten Angebot traten gute Sachen, wesentliche, wichtige, deutlich hervor. Um wie viel einfacher wir es doch hatten.

Um wie viel einfacher und deutlicher konnten Pfarrer predigen in Zeiten der Unterdrückung und Unfreiheit. Wie deutlich trat der Antikrist hervor. Umso deutlicher der Feind war, umso deutlicher war die Wahrheit. Denken sie bitte nicht, dass es mich nach diesen Zeiten sehnt. Ich denke nur, dass die Dinge einfacher waren, der Feind deutlicher und somit auch leichter war zu leben, sich zu entscheiden, Lebenswillen zu haben. Heute zu predigen, und das ist nicht nur mein subjektives Gefühl, sondern auch ein Problem vieler meiner Kollegen, ist schwer. Welche Prophezeiung voraussagen, welches Streben hervorheben, wie Tatsachen aufführen, unsere Erfolge und Misserfolge, unsere zahlreiche Möglichkeiten, unseren Wohlstand, unsere Blasiertheit und unser Tasten, unsere extravaganten Sehnsüchte und persönliche Eigensinn? Bei uns selbst beginnt das, was wir bei unserer Jugend sehen und kennen.

Ohne dass ich ihnen dieses Gefühl implantieren will, kann man allgemein sagen: wir haben alles, wir sind versichert, wir dürfen alles und trotzdem fehlt uns etwas. Aus der Textauswahl können sie sich denken, dass ich darauf ziele, dass es uns an Weisheit fehlt.

Gewöhnlich hält man die Weisheit für eine Eigenschaft des Menschen. Ein weiser Mensch, der Weise. Die Weisheit in diesem Text ist aber dargestellt wie eine selbständige Person, wie jemand, der ein Gegenüber der Menschen ist. Mitnichten eine menschliche Eigenschaft, aber ein Gegenüber des Menschen.

Und dieser Weisheit, gerade dieser, die uns fehlt, ist, so steht es im Text, sehr einfach zu begegnen. Sie steht auf der Straße, an der Ecke, jeden Tag gehst du an ihr vorbei, sie steht an den Stadttoren, sie ist etwas, was eigentlich nicht zu übersehen ist. Sie bietet sich dir an, steht dir immer vor Augen. Sie ist da, du langweilst dich, suchst Ersatz, weißt nicht, worüber zu reden, aber sie ist nahe, sie haucht dir ins Genick, dreht sich ständig um dich, und du siehst nicht, weißt nicht.

Welche Einfalt hindert uns sie wahrzunehmen? Was hat uns die Augen verschlossen, verstopft unsere Ohren, dass wir sie nicht hören, den Körper so unempfindlich gemacht, dass wir ihre Berührungen nicht fühlen und sie noch dazu verhöhnen? Was ist passiert, dass wir uns langweilen, dass wir ratlos sind, was zu machen ist mit uns und überhaupt und zu sagen, und dabei ist hier etwas, jemand, der uns braucht und wie ein Bettler ruft?

Das, was den Mensch hindert, den anderen Mensch zu hören – etwa in der Ehe – zwei Menschen leben nebeneinander und nehmen sich nicht wahr, hören den anderen nicht – das, was den Mensch hindert, ist die Selbstsucht. Der Mensch interessiert sich nur für sich, kümmert sich um sein Gutes, seinen Vorteil, um sein Wohlergehen. Wie geht es mir selber und wie ginge es mir selber noch besser! So ein Beispiel dessen, wie der Mensch nicht wahrnimmt, konnten wir auch in der Geschichte von Lazarus und dem Reichen Mann lesen: Dieser ging jeden Tag an Lazarus vorbei und nimmt ihn nicht wahr, obwohl Lazarus seine Hände emporhebt, obwohl Lazarus starb, obwohl er verhungerte, nimmt ihn der Reiche nicht wahr, Lazarus hat ihn vielleicht nur belästigt.

Die Weisheit ist bittend, bettelnd, drängelnd, rufend, ihre Hände zu uns emporhebend. Ob ihr wohl wisst, dass diese Weisheit jemand ist, der von Anfang an mit Gott war? Ob ihr wohl wisst, dass sie jemand ist, der in Verbindung mit Gottes Wesen steht? Und ob ihr wohl wisst, dass diese mit Gott ewige Weisheit die ist, die identifiziert ist mit Messias, Christus, mit Jesus Christus. Der, der hier ruft, der an der Ecke und an den Stadttoren steht, das ist Jesus Christus selbst – das ist der Bettler, den wir nicht sehen, statt dessen wühlen in eigenen Problemen und Ratlosigkeit, die selbst nichts weiter sind als bloße Langeweile.

So spricht die Weisheit einst zu denjenigen, für die dieser Text geschrieben wurde und so ist das auch heute uns gesagt, weil auch für uns der Text geschrieben wurde: Während ihr selbst nicht wisst wo entlang und wohin und während ihr euch befasst mit eurer eigenen Einfalt, Spott und Narrheiten, ist hier die Weisheit und bittet Euch um Aufmerksamkeit, die Weisheit, die euch ermöglicht, euch von euch selbst zu befreien. Sie ist hier, gleich in Reichweite, ist in etwas Bekanntem, was ihr täglich hört und es nicht wahrnehmt, weil ihr denkt, falls man dabei von Denken sprechen kann, dass es euch nichts angeht. Christus haucht euch so tagtäglich ins Genick und ihr denkt, dass das etwas ist, was euch nervt und bedroht in euerem Sein, mit dem ihr euch nicht zu helfen wisst.

Was ist das eigentlich, Freunde? Wo ist Christus, wo ist die Weisheit? Mit welcher Stimme sprechen sie? Wie kann man ihnen auf Straßen und Plätzen begegnen?

Jetzt hört gut zu: die bettelnde Weisheit hat diese Stimme – die Stimme der durch menschliche Rücksichtslosigkeit und Raffgier zerstörten Natur, kleiner Zigeunerkinder, die nicht verstehen und in Sonderschulen enden und schließlich in Banden, die Supermärkte ausrauben, der bittende Christus ist letztlich ein einen Greis betrügender Zigeuner, eine Straßendirne an der E55 und ein Drogenabhängiger, der sich gerade einen Schuss mit einer schmutzigen Nadel gibt. Empört das? Eben, es empört. Aber das ist gerade das, was uns heute und täglich anspricht und was ihr nicht hört, wovon ihr denkt, dass dies nicht euer Problem ist, dass euer Problem Geld ist und sich zu amüsieren. Es ist unser Unverständniss. Und dann heilen wir diese mit weiterer Selbstsucht oder meinetwegen, wie Pharisäer, mit großer Frömmigkeit?

Nicht doch, Freunde – Christus, die Weisheit, das ist es, wovor euch fürchtet und was euch belästigt und was wir nicht wollen. Aber lesen wir gut: wenn wir diesen Ruf nicht vernehmen, wenn wir in diese Beziehung nicht aktiv eintreten, dann wird sich der Schmerz vermehren und uns überfallen und wir werden dann die sein, über die die Angst kommt, kommt wie ein Sturm, und Qual und Not werden uns zuschnüren. Dann werden wir rufen: Gott, o Gott – und niemand wird uns antworten.

Wenn wir nicht verstanden haben, dann versuchen wir es noch anders zu sagen: Wenn die Weisheit mit Gott von Beginn der Schöpfung an bestanden hat, dann war es gerade diese Beziehung zu allen und allem, mit der Gott erschafft: jedes kleine Stöhnen in dem sich Mitgefühl regt, so dass sich alles zum Guten bildet. Wenn Christus der ist, der die Weisheit ist, dann ist er der, der immer und zu jeder Gelegenheit eine Beziehung zu menschlicher Not hat und zu allem Leid und das alles richtet. Es ist der, der sich zu den Kleinen neigt – die Sünder begnadigt, mit Huren und Zöllnern tafelt.

Freunde, die ihr nicht wisst, wir nicht wissen, was zu tun ist, und Freunde, die ihr euch in euer Privatleben flüchtet, Freunde, die ihr Zuflucht sucht zu übergrößer Frömmigkeit: Christus ist näher, als ihr meint, als ihr zugeben wollt, die Weisheit haucht euch schon ins Genick, versucht, sie zu hören. Amen

Autor: Tomáš Molnár